Sonntag, 15. Juli 2012

Also sprach die Prostituierte.

Die Prostituierte stand am Straßenrand und langweilte sich. Auf ihrer braunen Lederweste stand in großen Buchstaben mit bunten Straßsteinen 'Seduction' - 'Verführung' geschrieben. In ihrer rechten Hand glimmte die provisorisch provozierende Kippe (ein Phallussymbol, wie ihr der Zuhälter erklärt hatte), die zur Grundausstattung eines jeden Freudenmädchens gehört. Freuen konnte sich unser Mädchen heute allerdings nicht, denn das Wetter war nicht geschäftsfördernd - es regnete in Strömen. Es gab zwar viel Durchgangsverkehr, allerdings nicht der Art, welchen sich die Prostituierte gewünscht hätte. Frustiert setzte sie sich auf ihren herzförmigen Stuhl, ein Geschenk ihrer Großmutter, zum Start ihrer "Selbstständigkeit" und begann über verschiedene Dinge zu sinnieren.

Also sprach die Prostituierte:
"In unserem Land sind alle Menschen frei, doch bei mir sind sie Freier."
Diesem Gedanken hing sie einige Zeit nach, als ein weißer Mercedes mit Berliner Kennzeichen bei ihr hielt. Endlich, Kundschaft.
Ein sportlich-blonder Jüngling mit Sonnenbrille kurbelte das Fenster runter und winkte die Prostituierte zu seinem schlichten Wagen heran, aus dessen Innerem Bushido gerade lieblich säuselte: "Berlin - Es ist meine Stadt, für euch gibts keine Party, hier darf keiner tanzen, meine Stadt ist jetzt Ghetto."

"Ey Babe!", brüllte der Jüngling die Prostituierte an. "Ich hab grad ne Trennung hinter mir, ich brauch nen bisschen Gesellschaft, wieviel kostest du?"

Also sprach die Prostituierte:
"Es kommt darauf an, was du machen magst, mein Zuckerkrapferl.", hauchte die Prostituierte mit Schweizer Akzent. Auf der letzten Erotikmesse hatte der bekannte Doktor R. Ektal, weltweit anerkanter Professor für die Erforschung erotischer Akzente, verlauten lassen, dass diese Saison der Schweizer Akzent ganz groß im Kommen sei. Das Neutrale, Diplomatische, das mache die Schweiz für Männer so unwiderstehlich und anziehend, dass da jeder mal drüber rutschen wolle -
natürlich mit dem Zeigefinger über die Landkarte.
"Na, steig erstma ein, ich machs uns nen bissel gemütlich und sorg für Atosphä... Atomspä... äh, für Stimmung." Die Prostituierte ging um das bodenständige Auto und setzte sich auf den Beifahrersitz.
Während aus den Boxen dezente beruhigende Musik von Scooter dröhnte, schwieg der Jüngling verlegen.

Also sprach die Prostituierte:
"Ja sage mal, wie heißt du denn, mein Zuckerkrapferl?"
Der Jüngling schluckte und streckte ihr die Hand entgegen: "Achso, ja. Ick heiße Jorsch. Kannst ma aber auch Jorschi nennen, so heiß ick bei meene Kumpels." - "Ich heiß Sarah.", sprach die Prostituierte. "Du meintest, du hast eine Trennung hinter dir, woran lag es denn?"
Jorschi lachte: "Naja, meine Ex hatte nen anderen Sonnenbrillengeschmack als ick und dat ging ja mal ihrer Meinung nach gar nich."
Er schaute traurig nach unten und der Prostituierten erschien es, als ob einzelne Tränen wie unschuldige Diamanten in seinen Augen glitzerten - aber vielleicht war dies auch nur der Widerschein seiner Uhr. Nun begann er ihr zu erzählen, wie er seine "Ex-Olle" kennengelernt hätte und dass er ihr beim ersten Date eine weiße Rose in einer Plastewasserflasche geschenkt hätte, er sei ja so romantisch veranlagt. Und das er immer mit ihren kleinen Brüdern "Familien im Brennpunkt" gespielt hätte.
Am meisten Freude hätten Jason und Kevin am Aufräumen gehabt, denn Jorschi sei dann immer ins Zimmer gestürmt und hätte geschrien: "Wir müssen aufräumen, dass Jugendamt kommt!" Und schwupps seien die originalgetreuen Nachbildungen der Sturmgewehre in den Ikea-Boxen verschwunden gewesen. Was für ne Gaudi.

Also sprach die Prostituierte:
"Du bist ja ein echtes Süßhaserl gewesen!" Jorschi nickte melancholisch.
Doch in letzter Zeit sei es nicht mehr so gut gelaufen. Die neue Playstation hätte vieles kaputt gemacht. "Bettmagnetisches Miststück", nannte seine Ex die Pläsi immer. Streit hätte es gegeben. Und dann, eines Nachmittags bei Roßmann, wollte sich seine Ex-Olle eine neue Sonnenbrille holen und fragte ihn mit Duck-Face, ob die Brille ihr stehen würde.
"Nur aus Spaß hab ich dann gesagt, sie sehe aus wie Puck die Stubenfliege.", schluchzte Jorsch auf. Und dann sei es losgegangen. Das er nen verdammtes Ekel sei und sie nie respektieren würde, dass sie doch schon alles versuchen würde, um ihm zu gefallen, jetzt wollte sie schon ne schwarze Sonnenbrille, um wie diese Scheißpläsi auszusehen und trotzdem könne sie es ihm nicht recht machen. Das Gezeter wäre dann noch an der Kasse weitergegangen und eine Stunde später hätte sie ihren Facebook-Status auf Single geändert. Das wars. Er hätte nie wieder etwas von ihr gehört.

Die Prostituierte schluckte und zog den Reißverschluss von Jorschi's Hose wieder zu. Jorschi guckte entspannt, doch irgendwie traurig. Wie ein Kolibri, der gerade den ersten Morgentau von den Blättern einer Orchidee getrunken hatte, wissend, dass nur der erste Morgentau am Besten schmeckt.

Also sprach die Prostituierte:
"Vielleicht solltest du sie mal wieder anrufen.
Und dich mit ihr verabreden.
Vielleicht solltet ihr ein Eis essen gehen, damit das Eis gebrochen wird."
Jorsch nickte dankbar: "Danke!"

Also sprach die Prostituierte: "Macht 50, Zuckerkrapferl."

Während der weiße Mercedes langsam auf der Straße gen Horizont verschwand, zündete sich die Prostituierte eine Zigarette an.
Sie würde diesen Jüngling wohl nie vergessen können. Er hatte etwas in ihr berührt. Schlagartig wurde ihr auch bewußt, was das war.
Sie würde wohl morgen mal ihren Hausarzt aufsuchen müssen - ihr Gaumen tat weh.

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