Samstag, 24. Dezember 2011

Mein Name ist Mensch.

Als ich meinen alljährlichen, neudeutsch betitelten "Last-Minute-WeihnachtsEinkauf" dieses Jahr tätigte, verschlug es mich auch dieses Mal in eine Buchhandlung.
Zwischen Unmengen an Schundheften und kapitalistischer Geschlechterkampfproganda, standen in einer etwas dunkleren Ecke dicht an dicht gedrängt auch die sogenannten Klassiker der Weltliteratur.
Als besondere Aushängeschilder hatte man sich die beiden Werke "schöne neue Welt" von Aldous Huxley und "1984" von George Orwell ausgesucht.
Groß und blank poliert prankten sie mahnend in den Regalen von oben auf den geneigten potentiellen Käufer herab, als würde sie schon alleine durch ihre Anwesendheit etwas verändern können.

Doch bei diesem Anblick fragte ich mich, ob Bücher dieser Art, dieser Schreibweise überhaupt noch zeitgemäß wären.
Ist die Zeit des gesellschaftskritischen Diskurses nicht längst vorbei?
Ist es nicht eher so, dass Mahnen und Anklagen überholt ist?

Die Welt, in der wir leben, ist eine Welt, in der es längst zur Realität geworden ist, dass pränatal entschieden werden kann, ob das entstehende Leben auch gewünscht ist oder, anhand bestimmter Merkmale, vernichtet wird. Denn vernichtet wird es. Es wird entsorgt wie überflüssige Sägespänne oder wie das übrig gebliebene Verpackungsmaterial in einer Fabrik.
Doch wer entscheidet, was des Lebens Wert ist und wer setzt die Grenzen, die so wichtig sind, um uns vor einem zukünftigen "Bokanowski-Verfahren" der "schönen neuen Welt" zu bewahren?
Wer trägt die Verantwortung, wenn uns zukünftige Generationen die Konsequenzen unserer Handlungen als "Neo-Faschismus" auslegen?
Denn vor eben jenem "Neo-Faschismus" stehen wir zumindest auf medizinischer Ebene. Keiner hat das Recht, ein entstehendes Leben "ablehnen" zu können, nur weil es bestimmte Kriterien nicht erfüllt. Keiner von uns möchte abgelehnt werden, weil er die Norm nicht erfüllt.
Die Norm zu erfüllen sollte überdies von Keinem von uns das Ziel sein.
Denn das hieße, angepasst zu sein. Den Status Quo zu erhalten.
Die Norm ist somit direkter Gegner der Veränderung. Und was benötigt die Evolution und somit die natürliche Entwicklung auf unserem Planeten? Veränderung.

Wir würden einer großen Gefahr unterlaufen, wenn wir unsere Welt zukünftig von "nicht normgerechten Kindern" frei halten würden. Der Gefahr, dass das "Anders"-Denken einfach verschwindet.
Genauso, wie eben jenes nicht gewünschte Leben sterben würde, würden unsere Möglichkeiten sterben, unsere Welt aus anderen Blickwinkeln zu betrachten.

Die Frage muss also folgende sein: Beginnt Toleranz erst nach der Geburt oder beginnt sie schon im Mutterleib?

Ist das Wort der Toleranz gegenüber "behinderten" Menschen nicht in dem Augenblick eine Farce, in dem es erst angewandt wird, wenn ein Mensch geboren ist?
Denn genauso, wie sich die Frage stellt, wann ein Leben wirklich als ein Leben angesehen wird, ist es wichtig zu fragen, wann die Rechte für einen Menschen gelten.
Eben diese Rechte des Menschen, die auch die Toleranz beinhalten.

Konsequent können diese Menschenrechte nur durchgesetzt werden, wenn sie auch schon für ungeborenes Leben gelten.
Deshalb kann eine Gesellschaft, die den Anspruch erhebt, eine humane und demokratische zu sein, die Abtreibung aufgrund von Pränataldiagnostik nur vehement ablehnen und als für sich nicht in Frage kommend benennen.
Es müssen dementsprechend klare Schritte unternommen werden, um solch eine Art der Abtreibung zukünftig zu unterbinden, da sie wider dem humanen Gedanken unserer Verfassung ist.

"Wir müssen unser Dasein so weit, als es irgend geht, annehmen; alles, auch das Unerhörte, muß darin möglich sein. Das ist im Grunde der einzige Mut, den man von uns verlangt; mutig zu sein zu dem Seltsamsten, Wunderlichsten und Unaufklärbarsten, das uns begegnen kann." (Rainer Maria Rilke)

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